Klagenfurt / Österreich
Himmlisches Timing
In Österreich werden alle Männer im wehrpflichtigen Alter alle paar Jahre zu Waffenübungen beim Militär verpflichtet. Auch ich musste an solchen Übungen teilnehmen. Diese Begebenheit passierte bei meiner letzte Waffenübung, bevor ich von meiner militärischen Verpflichtung entbunden wurde. Am letzten Tag von solchen Übungen musste immer die gesamte Ausrüstung mit den Waffen abgegeben werden. Das war bei der großen Anzahl an Männern immer eine sehr langwierige Angelegenheit, auch diesmal. Ich wusste vom letzten Manöver, dass ich an diesem Tag viel ungenützte Zeit zur Verfügung haben würde. Da ich in diesem Jahr in unserer Pfarre eine Jugendgruppe betreute, wollte ich diese Zeit dazu verwenden, um mir zu überlegen, was ich in den nächsten Wochen mit den Jugendlichen in den Gruppenstunden machen könnte. Dafür hatte ich mir auch meine Bibel mitgenommen, um mich vorzubereiten.
Die Abgabe der Ausrüstung und der Waffen erfolgte in einer Kaserne, die in einem sehr weitläufigen Areal gelegen ist. Ich suchte mir mit meiner Bibel abseits der anderen Soldaten einen stillen Platz, wo ich hoffte, ungestört zu sein. Das war aber gar nicht einfach. Es waren ja viele andere Männer in der Nähe, die auch alle auf die Abgabe der Ausrüstung warteten und denen langweilig war. So spazierten immer wieder Männer auf eine kurze Plauderei vorbei.
Mir war es peinlich, mit der Bibel gesehen zu werden und so legte ich immer wieder die Bibel unauffällig auf die Seite, wenn ich merkte, dass sich ein Kamerad näherte. Plötzlich wurde mir bewusst, was ich da tat. Ich schämte mich dafür, als gläubiger Mensch mit einer Bibel erkannt zu werden. Gleichzeitig sah ich, dass nicht weit entfernt eine Gruppe von Männern war, die gemeinsam Porno Magazine anschauten und die sich dafür nicht im Geringsten schämten. Ich beschloss, von nun an die Bibel nicht mehr zu verstecken, wenn jemand zu mir kommen würde. Der erste, der vorbeikam und mich beim Lesen sah, meinte lachend: „Hallo, was liest du denn für einen Porno?“. Als ich ihm zeigte, dass es die Bibel war, ging er rasch betroffen weg. Andere waren durchaus positiv überrascht und blieben eine Weile, um mit mir zu reden.
Dann kam ein Mann namens Benno, ich kannte ihn nicht. Als er merkte, was ich las, reagierte er zuerst verärgert, weil er den Glauben und die Kirche ablehnte. Wir kamen aber in ein intensives Gespräch. Dabei erfuhr ich, dass er in seiner Kindheit sehr negative Erfahrungen mit Menschen gemacht hatte, die sich für religiös hielten, in Wirklichkeit aber sehr lieblos waren. Im Laufe des Gesprächs akzeptierte er, dass menschliche Schwächen und Versagen keinen Grund darstellen können, die Wirklichkeit Gottes in Frage zu stellen. Er interessierte sich zunehmend für meine Einstellung zum Glauben und die Erfahrungen, die ich bereits mit Gott machen durfte. Leider wurde aber bald über Lautsprecher jene Gruppe zur Abgabe der Waffen aufgerufen, zu der ich gehörte. Wir mussten unser Gespräch beenden. Benno wollte noch länger mit mir über meinen Glauben reden und fragte mich, ob wir uns anschließend nach der Abgabe der Waffen nochmals zu einem Gespräch treffen könnten. Ich sagte gerne zu. Ich wusste, dass solch ein Gespräch nur mehr an diesem Tag möglich war, weil am nächsten Morgen jeder von uns nach dem Frühstück so rasch wie möglich zu seiner Familie heimfahren wollte.
Es kam aber anders, als wir es vorgesehen hatten. Für die gesamte Mannschaft war das ja die letzte Waffenübung. Als schließlich alle ihre Ausrüstung abgegeben hatten, wurden wir im Rahmen einer kleinen Feier offiziell aus unserer Wehrpflicht entlassen und in einem großen Saal zu einem gemeinsamen Essen eingeladen. Da es auch genug Bier zu trinken gab, wurde die Stimmung immer ausgelassener. Ich bemerkte, dass Benno ständig von Freunden umringt war und sah keine Möglichkeit mehr, dass es in dieser lauten und fröhlichen Umgebung jemals noch zu einem Gespräch über Gott mit Benno kommen könnte.
Ich war mit dieser Situation unzufrieden und konnte den Abend selber überhaupt nicht genießen. Ich hielt es schließlich in diesem Raum nicht mehr aus und ging ins Freie. Inzwischen war es schon finster und auch neblig geworden, es war schließlich schon Ende Oktober. Ich betete zu Gott. „Herr, wenn Du es haben möchtest, dass ich heute noch einmal mit Benno über Dich reden soll, dann musst Du etwas machen. Ich sehe keine Möglichkeit, mit ihm in Ruhe in ein Gespräch zu kommen. Aber du weißt, wir haben heute nicht mehr viel Zeit und morgen überhaupt keine Gelegenheit mehr dazu.“ – Ich wusste nicht einmal, in welchem Gebäude der Kaserne Benno übernachten wird, sodass ich auch nicht wusste, ob ich ihn in der Frühe vor der Abreise überhaupt noch sehen würde.
Anschließend an dieses Gebet hatte ich überhaupt keine Lust mehr, in den lauten Saal zurückzugehen, in dem einige Männer schon einen leicht betrunkenen Eindruck machten. Ich beschloss, im Freien eine große Runde zu gehen und dabei einen Rosenkranz für Benno zu beten. Dass es dunkel und neblig war störte mich überhaupt nicht, ich kannte das Kasernenareal sehr gut und hatte nicht die geringste Angst mich zu verlaufen.
Ich hatte schon fast den gesamten Rosenkranz gebetet, als ich in der Dunkelheit an einer Wegkreuzung mit einem Mann zusammenstieß. Wir waren beide sehr erschrocken, keiner hatte den anderen wegen der Dunkelheit gesehen und auch nicht gehört. Jeder von uns stieß einen überraschten Ruf aus. Dabei erkannten wir uns beide an der Stimme – es war Benno. „Was machst du denn hier???“ fragte er mich völlig erstaunt, und ich konnte nur wahrheitsgemäß antworten: „Ich gehe hier gerade eine Runde und bete für dich einen Rosenkranz“. Seine Verblüffung lässt sich kaum beschreiben. Wir gingen ein Stück weit bis zu einer Straßenlampe, sodass wir uns beim Reden auch sehen konnten, und dann erzählte er mir noch immer völlig verblüfft, was passiert war: „Ich hatte Freunde getroffen, und wir hatten uns bei der Feier bestens unterhalten. Plötzlich hatte ich ein starkes Bedürfnis nach einem Kaugummi, ich fand aber keinen mehr in meiner Tasche. Da ist mir eingefallen, dass ich im Auto noch eine Packung liegen habe. Ich ließ also die Freunde stehen und bin gegangen, um den Kaugummi zu holen. Im Gehen habe ich mich gefragt, ob ich verrückt bin. Das Auto steht am Parkplatz, 500 Meter weit entfernt, wegen eines Kaugummis so weit zu gehen ist ja nicht normal. Außerdem hätte ich nur meine Freunde fragen müssen, ob irgendjemand für mich einen Kaugummi hätte, auch die Cafeteria war gleich in der Nähe, wo ich einen Kaugummi hätte kaufen können. Verrückt. Aber nachdem ich bereits im Freien war, dachte ich mir, dass mir die frische Luft gut täte und ging weiter. Jetzt weiß ich, dass mich irgendwer vom Himmel hierher gezogen hat.“
Wir saßen nun auf einer kleinen Mauer unter der Straßenlaterne und hatten ein sehr langes und intensives Gespräch über den Glauben und über Gott. Irgendwann, es war schon bald Mitternacht, wurde uns so kalt, dass wir uns trennen mussten und jeder zu seinem Quartier ging.
Ich habe keine Ahnung, wie es mit Benno weitergegangen ist. Wäre Benno 10 Sekunden früher oder später an dieser Kreuzung vorbeigegangen, hätte keiner von uns den anderen erkannt und es wäre nicht zu diesem Glaubensgespräch gekommen. Gott wollte offensichtlich mein Glaubenszeugnis und hat meine Bitte in einer für mich wirklich überraschenden Weise erfüllt.